PRESSE

AUSZÜGE AUS 'DER MENSCHHEIT GANZER JAMMER' // von Hinrike Gronewold // Weltexpress

'Zwei Stunden lang herrscht atemlose Stille im Publikum. Die Spannung der AkteurInnen überträgt sich und lässt die inneren Kämpfe der Bühnenfiguren hautnah miterleben. ...


Der flämische Autor Tom Lanoye hat den trojanischen Krieg zum Thema seines Stücks gemacht und dabei den Bogen zum Heute geschlagen mit der Frage, was eigentlich geschieht, wenn Kriege geführt werden, die mit guten Gründen gerechtfertigt werden können.
Die Sprache hat, auch in der Übersetzung von Rainer Kersten, Anklänge an die Antike und ist zugleich modern. Auszüge aus den Reden von George W. Bush und Donald Rumsfeld zum Irak- und Afghanistan-Krieg, in den Text eingeflochten, passen ganz hervorragend und  unauffällig in die Reden des Feldherrn Agamemnon. Das Denken der Eroberer und Zerstörer, die sich selbst als Retter bezeichnen, hat sich seit damals nicht verändert.

Die Kombination von ferner Vergangenheit und Gegenwart lässt Anja Sohre auch in den Kostümen sichtbar werden. Die Kleider der Frauen sind elegant und zeitlos modern, vermitteln durch geschickte Raffungen und Fältungen aber auch den Eindruck antiker Gewänder. Agamemnon trägt seine schwarze Hose und sein graues Seidenhemd wie eine Uniform. ...

Anne Schneider, in Berlin bekannt durch ihre Inszenierungen an der Schaubühne, hat bei ihrer Regie ganz auf die Ausdrucksstärke und Vielseitigkeit ihres sechsköpfigen Schauspielensembles gesetzt. In ihrer Inszenierung fließt kein Blut, es gibt keine vordergründigen Effekte und keine musikalische Stimmungsuntermalung. Die Schauspielerinnen loten den Text aus,  graben sich in die Wortkaskaden hinein auf der verzweifelten Suche nach einem begreifbaren Sinn oder einer Form, in der ihr auseinander gebrochenes Leben zu bewahren wäre. ...

 

Beat Marti gestaltet grandios einen Agamemnon, dem mühelos alle Schuld zugeschoben werden kann, den anscheinend gnadenlosen Täter, von hilflosen Opfern umgeben. Erst am Ende, als Kassandra erklärt, dass Agamemnon glaubt, was er sagt, wird deutlich, dass Agamemnon tatsächlich ein pflichtbewusster, ehrlicher Mann ist. Sympathischer wird er dadurch nicht, aber schließlich stellt sich heraus, dass auch die Frage nach der Schuld an all dem Unglück nicht so leicht zu beantworten ist. ...

 In Anne Schneiders Inszenierung wendet sich Klytaimnestra ihrem Mann noch einmal zu, bevor sie ihn verlässt. Sie nimmt Agamemnons Gesicht in ihre Hände, nicht, um sich mit ihm zu versöhnen, sondern um die Schuld mit ihm zu teilen.

Das Premierenpublikum dankte dem hervorragenden Schauspielensemble und der Regisseurin mit großem Applaus und Bravorufen.'