PRESSE

 

EINE FRAU FÜR ALLE FÄLLE // Hamburger Abendblatt // 26.02.2016 // Annette Stiekele

 

Link zum gesamten Artikel im Hamburger Abendblatt.

 

Sie ist die typische Theaternomadin. Nun zeigt Anne Schneider im Lichthof-Theater die Produktion "Das Biest A".

Analphabetismus ist ein Thema, über das oft schamvoll geschwiegen wird, und das doch allgegenwärtig ist. Er betrifft in Deutschland in seinen verschiedenen Ausprägungen etwa sieben Millionen Erwachsene und hat auch in das kulturelle Leben vielfach Eingang gefunden. ...

Sich in der Welt zurechtfinden zu müssen, ohne lesen und schreiben zu können, ist auch ein Thema für die junge Regisseurin Anne Schneider. Am Freitag hat ihre freie Adaption des Rendell/Chabrol-Stoffs als "Das Biest A" am Lichthof-Theater Premiere. Schneider erzählt den Roman und seinen Krimiplot, angereichert mit dokumentarischem Material. "Wir versuchen, die Geschichte mit tatsächlichen Schicksalen zu verknüpfen, fragen danach, wie es ist, so zu leben. Man kann sich das kaum vorstellen, aber es sind viele Menschen betroffen", erzählt Anne Schneider im Café unter den Linden. In der Vorbereitung mussten Gesprächspartner, die Analphabeten sind, erst einmal gefunden, Vertrauen musste aufgebaut werden. Das gelingt nicht jedem. Anne Schneider traut man das dafür nötige Gespür sofort zu.

 

Inszenieren, Kuratieren und Engagieren

Die 1980 in Göttingen geborene Regisseurin ist eine typische Theaternomadin, die ständig zwischen Hamburg und Berlin pendelt. In der Hauptstadt lebt sie mit ihrem Mann und zwei Kindern. Mit Hamburg verbindet die gebürtige Niedersächsin bis heute vieles, auch weil ihr Vater hier lebt. Mit ihren Inszenierungen, für die sie jedes Mal mit formalen Anträgen Fördergelder eintreiben muss, ist sie genauso Teil der Berliner wie der Hamburger Freien Szene.

2012 hat sie nach zwei dort gezeigten Gastspielen die Leitung des "Kaltstart"-Festivals übernommen, das schon lange als eines der wichtigsten deutschen Festivals für den Theater- und Regienachwuchs gilt. Im vergangenen Jahr hat sie die "Kaltstart"-Leitung wiederum eingetauscht gegen die künstlerische Leitung des neuen Festivals "Hauptsache frei", das nach seinem erfolgreichen Start 2015 in diesem April in die zweite Runde geht.

Anne Schneider ist damit so etwas wie eine Theaterfrau für alle Fälle. Das Inszenieren, Kuratieren, Engagieren in der notorisch prekären Freien Szene sind die Eckpfeiler ihrer Arbeit. Im Gespräch wirkt Schneider eher analytisch und besonnen als selbstverliebt wie so viele ihrer Zunft.

 

Ihr geht es darum, das Theater und die Freie Szene insgesamt voranzubringen – nicht nur sich selbst.

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"Ich begebe mich mit dem Team auf eine Art Entdeckungsreise"

Es folgten Regieassistenzen und erste Arbeiten am Staatstheater Nürnberg und an der Berliner Schaubühne, wo sie eng mit Thomas Ostermeier zusammenarbeitete und erste eigene Regiearbeiten zeigen konnte. Für "Das darf man nicht sagen" von Hélène Cixous erhielt sie 2010 eine Nominierung als beste Nachwuchsregisseurin in der Kritikerumfrage der Zeitschrift "Theater heute". 2012 gewann sie mit "Schwesterherz" den Publikumspreis beim Berliner 100-Grad-Festival.

Ihr Interesse ist immer auch ein Soziologisches. "Für mich ist das Theater ein Möglichkeitsraum, ein Ort, an dem Themenkomplexe und Fragestellungen beleuchtet werden können, die sonst im Alltag kaum vorkommen und denen ich hier intensiv nachgehen kann", sagt Anne Schneider. "Ich begebe mich mit dem Team auf eine Art Entdeckungsreise. Und da ich der Meinung bin, dass diese Reise für alle Beteiligten, aber auch für die jeweiligen Zuschauerinnen und Zuschauer, unterschiedliche Resultate hervorbringt, braucht es eine offene Form." Häufig haben ihre Arbeiten damit eher den Charakter einer Installation. Das gilt auch für "Das Biest A".

 

Auch in "Das Biest A" scheut Anne Schneider nicht die Emotion

... nun stehen erst einmal Proben im Lichthof-Theater an. Und auch da verfolgt sie strikt ihren eigenen Stil. "Ich versuche, einen emotionalen Bezugsrahmen anhand der gezeigten Menschen, Figuren und Geschichten herzustellen, gleichzeitig aber auch über diesen hinauszuweisen."

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