NDRInfo Kulturtipp
,...Nicht leichtverdaulich, aber sprachlich extrem stark....'
NDR 90,3 // Premierenbericht // Peter Helling
soundcloud.com/lichthof/kein-ortfinsternis-premierenbericht-ndr-903
Unlust am Leben // TAZ Nord // 8.,9. Oktober 2016 // Katrin Ullmann
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Für die Regisseurin Anne Schneider ist Wolfs Text eine dunkle Inspirationsquelle zum Thema Depression. ... Schneiders Lesart des Textes passt. Sprechen die beiden Protagonsiten doch fast fortwährend von ihrer Unlust am Leben, vom Wunsch, einen Heldentod zu sterben und von der Verzweiflung darüber, dass man nicht gehen kann, wenn man will. Bei Caroline von Günderode und Heinrich von Kleist breitet sich in den Abgründen ihrer Seele ganz offenbar dieselbe dunkle Farbe aus, ,wie schwarze Tinte in einem Gefäß mit klarem Wasser'.
Auf einem großen verdrehten Holzgitter (Ausstattung: Giulia Paolucci) lässt Schneider die Darsteller agieren, weist Judith Rosmair als Günderode und Rainer Strecker eindeutige Rollen zu, die mal mehr, mal weniger umspielt und begleitet werden von den Stimmen und Bewegungen der anderen vier Performer.
Es ist ein sehr puristischer, zugleich aber auch textinstensiver Abend. Deutlich merkt man ihm die ernstahfte Auseinandersetzung mit der Christa-Wolf-Erzählung an. Und Rosmair und Strecker geben ihr Bestes, um sich den blumigen Wortbildern der beiden deutschen Romantik-Testimonials entgegenzustemmen.
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...Ein verstörender Moment, ... wenn Lisa Rykena sich - ist es noch Tanz oder schon epileptischer Anfall? - in einem unheimlichen, zuckenden, kurzen Solo verliert. Wenn sie mit beinahe spastischen Verrenkungen kontrolliert austickt. Unvorhersehbar und mit einer absoluten Körperbeherrschung.
Oder wenn das gesamte Ensemble zu einer Suizidchoreografie performt. Mit einfachen Gesten mimen die Darsteller dann zügig verschiedene Selbstmordmöglichkeiten: erstechen, vergiften, erhängen, erschießen - und noch mal von vorn.
Dann ensteht ein großartiger Moment zwischen Komik und Grauen, zwischen Lachen und Weinen, nah am seelischen Abgrund.
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Eine andere Art von Tod // hamburgtheater.de // 10.10.2016 // Birgit Schmalmack
,...Regisseurin Anne Schneider hat den Text der DDR-Autorin Christa Wolf für ihr zweites Stück ihrer Trilogie über Außenseiter und Ausgestoßene benutzt, um nach "BiestA" über Analphabetismus nun mit "Kein Ort.Finsternis" ein Stück über Depression zu inszenieren. Wieder steht das raumgreifende Gerüst eines in sich verdrehten Lattenrostes auf der Bühne. Auch dieses Mal ist es wieder ein wunderbar eindrückliches Bild für das anstrengende Rumbalancieren auf den spärlichen Halterastern, das vergebliche Suchen nach einem sicheren Untergrund und dem ständig drohenden Absturz in den Abgrund....'
Flaneurgedichte.blogspot // Freitag, 14. Oktober 2016
Ortlos
Kein Ort Finsternis
Im Theater unterm Dach
Frei nach Christa Wolf
Als Suche in der Dunkelheit
Theater und Tanz genial kombiniert
Windet sich durch die Depression
Die mitten im Netz der Gesellschaft
Völlig einsam macht im dann Nichts
Heinrich v. Kleist und Caroline v. Günderode
Begegnen sich bei einer Teegesellschaft
Als Fiktion der literarischen Romantik
Von Wolf als Treffen zweier Depressiver
Zwei die sich erkennen und fühlen
Und doch nicht ganz nah kommen
Sich im Netz der Konventionen noch
Verlieren den übrigen verwirrt scheinen
Genial gespielt von Judith Rosmair und
Rainer Strecker als Günderode und Kleist
Choreographiert und getanzt von Victoria Hauke
Unter der Regie von Anne Schneider
Die Verlorenheit großartig in Szene gesetzt
Schafft sich die Musik aus der Bewegung
Die Verabredung zweier die für sich je den
Freitod wählen im sensiblen Leid gefangen
Sie verlieren sich als Verlorene aneinander
Finden sich nicht und verirren sich dabei
Zwischen Netz und Gitter bis sie sich dann
Doch noch dazu verabreden im Ringen
Am Ende ein Anfang der den Besuch allein
Schon lohnt die wir das reale Ende beider
Kennen und es bleibt die Frage nach der
Erlösung aus der ortlosen Finsternis
Wie viele sind gefangen im Nichts überall
Auch nebenan manchmal sogar in uns
Vielleicht werden sie durch den Blick
Den großes Theater wirft sichtbarer
jens tuengerthal 13.10.2016
Das gestundete Glück //Außenseitertreffen: Christa Wolfs Erzählung „Kein Ort. Nirgends“ im Theater unterm Dach // 15.10.2016 // Elisa von Hof
Kein Ausweg, kein Licht, keine Zukunft. Für diese beiden gibt es einfach keinen Ort. Nirgends. Als sich Heinrich von Kleist und Karoline von Günderrode Anfang des 19. Jahrhunderts begegnen – in
lockerer Runde sozusagen, es gibt Tee, Gebäck und den neuesten Tratsch –, da finden sie ineinander Leidensgenossen. Denn für die beiden Schriftsteller ist die Gesellschaft ein Käfig, an dessen
Gitterstäben sie sich abmühen. "Wo ich nicht bin, da ist das Glück", stellt Rainer Strecker als Kleist tonlos fest. All diese oberflächlichen Gespräche und Konventionen, sie kommen nicht zurecht
in Teerunden wie dieser.
Plötzlich gibt es da aber diesen einen Moment. Die beiden schauen sich an, sehen sich wirklich und erkennen sich selbst im anderen wieder. Man hofft, dass die beiden Außenseiter nun doch ihr
Glück finden, und zwar im anderen, und dass sie sich gegenseitig befreien können. Wer die Geschichte kennt, weiß es besser. Kleist wird sich später am Wannsee erschießen. Günderrode am Rhein
erdolchen. Diese Begegnung der beiden, die hat nie stattgefunden, zumindest nicht in der Realität. Die Schriftstellerin Christa Wolf hat das Treffen der beiden 180 Jahre später in ihrer Erzählung
"Kein Ort. Nirgends" erdacht. Das hat das Theater unterm Dach nun auf die Bühne gehoben.
Regisseurin Anna Schneider hat dafür den Titel der Wolf Erzählung abgewandelt, sie aufgebrochen und in einen anderen Kontext geknüpft. "Kein Ort. Finsternis", so heißt die Bühnenversion, fühlt
der fiktiven Begegnung dieser beiden Außenseiter nach, untersucht ihr Leiden aber auch klinisch. Das Stück kommt zu dem Schluss, dass Kleist und Günderrode zwar an sich selbst und der
Gesellschaft zugrunde gehen. Aber eigentlich an einer Volkskrankheit leiden, der Depression. Die scheint als ein riesiges Holzgerüst inmitten der Bühne zu thronen. Kleist, empathisch gespielt von
Rainer Strecker, und Günderrode, fast zärtlich von Judith Rosmair, turnen auf den Paneelen des Gerüsts herum. Mal verlieren sie den Halt, mal balancieren sie dort. Dem Absturz immer nur um
Millimeter fern, wird hier jeder Dialog wortwörtlich zum Drahtseilakt.
Wolfs Text als Schablone für eine szenische Auseinandersetzung mit der Depression zu betrachten, das ergibt hier Sinn. Wenn Stecker als Kleist in den Raum hinein fragt, "wie die dunkle Farbe in
sein Leben gekommen ist und sich darin ausgebreitet hat wie schwarze Tinte in einem Gefäß mit klarem Wasser", dann ist das zwar treffend. Viel mehr beweist es: Wolfs Text ist nicht nur
bühnentauglich, sondern zeitlos.