In Tobias Schwartz’ Stück „In der guten Stube“ lebt ein Junge bei seinem Vater und seiner Stiefmutter in einem Mietshaus, in dem noch verschiedene andere Parteien wohnen. Die Stiefmutter quält/misshandelt den Jungen. Der Vater schreitet nicht ein. Die Mutter ist tot. Der Junge sucht Zuflucht bei zwei alten Damen/Ersatzomas (Teufel und Engel), für die er einerseits den Lebensinhalt darstellt, von denen er andererseits aber eben auch benutzt wird (was dasselbe sein kann). Ein neu ins Haus gezogenes Mädchen ist für den Jungen plötzlich ein Lichtblick, eine Art Verheißung – die Personifizierung der Vorstellung, dass es auch ein anderes, besseres Leben gibt. Ein Trugschluss? Jedenfalls ist sie die Folie für den Emanzipationsansatz, den der Junge vollzieht.
Die alten Damen, Vater und Stiefmutter, das erwachsene Mädchen und der Junge sind außerdem ein Generationenspiegel – Kriegsgeneration, Nachkriegsgeneration, Punk und Postpunk in etwa… Einzelne Details stehen in diesem Kontext jeweils für die Erinnerungen an „alte Zeiten“ – etwa die Mohnklösschen der alten Damen, ein altes schlesisches Rezept, oder auch die „Dick und Doof“-Filme oder das Mickey-Mouse-Comic des Jungen.
Die „gute Stube“ ist ein Sinnbild für die Vergangenheit, man kann sich in sie zurückziehen, in ihr geborgen fühlen, aber sie steckt auch voller Tücken. Denn es steht immer die Frage im Raum, ob sich die Szenen wirklich so abgespielt haben, wie sie in der Erinnerung des Jungen erscheinen? War die Stiefmutter wirklich nur böse? Hat sich der Vater nicht vielleicht doch um seinen Sohn bemüht?
Tobias Schwartz hat ein Stück über die Erinnerung geschrieben, ein Stück über den subjektiven Blick auf das Vergangene, der die eigene Identität formt und Geschichte entstehen lässt.